Im März 2016 hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins auf 0% herabgesetzt. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Die Folge daraus ist, dass es auf den Sparbüchern, Girokonten, Lebensversicherungen und vielen weiteren Finanzprodukten keinen Zins mehr gibt. Warum ist das so? Welche konkreten Auswirkungen hat die Nullzinspolitik? Werden die Zinsen in absehbarer Zeit wieder ansteigen? All diese Fragen möchte ich in folgendem Beitrag versuchen aufzuschlüsseln!
Deutsche investieren weiterhin konservativ
Was die Geldanlage betrifft, legen die Deutschen eine sehr konservative Haltung an den Tag. Spekulative Anlageklassen wie beispielsweise Aktien stehen hierzulande nicht sehr hoch im Kurs. Es wird vorrangig auf das alt bewährte gesetzt. Mal abgesehen von der Immobilie stehen daher Sparkonten ganz oben auf der Liste. Wahrscheinlich noch beeinflusst von den geschichtlichen Ereignissen in den Jahren der Hyperinflation von 1923 und der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre zieht der Deutsche daher die vermeidlich sichere, im Wert beständige Anlageklasse vor.
Ende des Jahres 2020 belief sich das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland auf unglaubliche 6950 Milliarden €. Gegenwärtig dürften wir die Marke von sieben Billionen Euro bereits überschritten haben. Aus dieser Summe wiederum ergibt sich folgende Aufteilung:
2809 Mrd. € befinden sich in Bargeld und Spareinlagen.
2457 Mrd. € sind in Versicherungen angelegt. (Hauptsächlich Lebens- und private Rentenversicherungen)
804 Mrd. € werden in Aktien gehalten und weitere 734 Mrd. € in Form von Investmentfonds.
Gegenüber anderen Völkern, welche meist eine ausgeprägtere Aktienkultur als wir besitzen, hält sich der deutsche Bürger also mit dem Kauf von Aktien eher zurück und bleibt beim Bewährten wie dem guten alten Sparbuch.

Schleichende Enteignung
Fakt ist: Durch die Nullzinspolitik der EZB sind wir einer ständigen Entwertung unseres Vermögens und einem Verlust an Kaufkraft ausgesetzt. Dies betrifft zumindest alle, die null- und niedrig verzinste Einlagen bei ihrer Bank geparkt haben. Hier zieht der Zinsertrag gegenüber der vorherrschenden Inflation den Kürzeren.
Das Ziel der EZB ist es, die Preisstabilität im Euro-Raum zu sichern. Angestrebt wird dabei eine jährliche Inflationsrate von knapp unter 2 %. Sie streben diesen Wert an, da eine leichte Inflation die Wirkung hat, die Wirtschaft zum Wachstum anzuregen. In einem leicht inflationären Geldsystem neigen Unternehmen eher dazu, erwirtschaftetes Geld in neue Projekte und Investitionen zu stecken, statt es auf der hohen Kante mit dem Risiko der Entwertung liegenzulassen. Neue Arbeitsplätze können entstehen, so die Theorie.
Zur Erklärung: Wäre das Geldsystem hingegen deflationär, würden Unternehmen das Geld horten. Über die Zeit würden sie sich mehr leisten können, da das Geld auf dem Konto tendenziell an Kaufkraft gewinnt.
Nehmen wir also die Voraussetzung von 2 % Inflation pro Jahr unter dem Einfluss der Null-Verzinsung auf dem Konto, würde sich folgendes Bild ergeben:

Es zeigt sich, dass nach 20 Jahren etwa 1/3 des Vermögens verpufft ist. Durch diese Erkenntnis lässt sich ableiten, dass zum Erhalt Ihrer Kaufkraft, der Zinsertrag unbedingt höher oder gleich sein muss, als die aktuelle Inflationsrate!
Im März 2022 lag die Teuerungsrate in Deutschland bei 7,3 % im Vergleich zum Vorjahresmonat. Stellen wir diese Inflationsrate dem Gesamtvermögen der Bevölkerung gegenüber, so wurden die deutschen Bürger, in den vergangenen zwölf Monaten um insgesamt ca. 507 Mrd. € enteignet.
Deshalb befinden wir uns im Nullzins-Umfeld
Entsprechend der zuvor erläuterten Umständen ist es zu erklären, warum die EZB den Zins derart abgesenkt hat. Sie erhoffen sich durch die damit entstehende schleichende Geldentwertung, Anreize für Unternehmen und ebenso Privatpersonen zu schaffen, das Geld in den Wirtschaftskreislauf zu bekommen und somit die Wirtschaft stimulieren zu können.
Auswirkungen der Nullzins-Politik
Eine Auswirkung ist wie bereits verdeutlicht die Nullverzinsung unserer Sparkonten und die damit verbundene schleichende Enteignung der Bürger.
Auch nicht zu vernachlässigen sind die Einschnitte, welche die Banken durch diese Politik zu tragen haben. Ihnen bricht ein Teil ihres Geschäftsmodells und dadurch eine wichtige Einnahmequelle weg.
Damit meine ich folgendes: Die Zinspolitik wird in unserem Fall von der EZB gestaltet. Um dies rechnerisch erklären zu können, gehen wir einmal von einem festgelegten Zins von 3 % aus. Eine Bank kann nun Geld bei der EZB parken und erhält dafür den besagten Zins gutgeschrieben. Ihren Kunden wiederum bietet die Bank ein Sparkonto mit 2 % Verzinsung pro Jahr an. Die Differenz von 1 %, die sich daraus ergibt, ist die Marge, welche der Bank als Gewinn dieser Aktion zu Buche steht. Durch den Nullzins der EZB wurde diese Einnahmequelle der Banken zum Erliegen gebracht.
Mit diesen Umständen ist zu beobachten, dass die Banken natürlich daran arbeiten, diese Kosten anderweitig wieder einzuholen. Immer mehr Banken fühlen sich dazu gezwungen, ihre Kunden mit Negativzinsen zu belegen. Das bedeutet: Sobald Sie Geld bei einer Bank anlegen möchten, wird dies mit einer Gebühr belastet.
Aktuell greift dieses Phänomen bei den meisten Banken erst ab einem Anlagebetrag von 100.000 €, doch ist zu beobachten, dass diese Grenze sukzessive nach unten korrigiert wird. Sollte diese Entwicklung anhalten, müssen wir bald ab dem ersten Euro, den wir bei unserer Bank parken, Gebühren bezahlen. Die Politik der EZB zwingt die Banken also dazu, diesen Schritt zu gehen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als die Minuszinsen an ihre Kunden weiterzugeben.
Zum Thema Negativzinsen gibt es auf dem Vergleichsportal Verivox eine Übersicht, welche Banken bereits Negativzinsen von ihren Kunden verlangen:
https://www.verivox.de/geldanlage/themen/negativzinsen/
Entstehung von Zombieunternehmen
Durch die Politik des billigen Geldes wurde in den vergangenen Jahren eine beträchtliche Summe an Zombieunternehmen angehäuft. Unter den Begriff “Zombie” fallen Unternehmen, welche über kein funktionierendes Geschäftsmodell verfügen und unter normalen Umständen eigentlich am Markt gar nicht mehr existieren dürften.
Unternehmen, die davon betroffen sind, wenden sich an den Finanzmarkt und decken sich dort laufend mit neuen Krediten ein, welche es zum Nulltarif gibt. Somit gelingt es ihnen, die bevorstehende Insolvenz ständig in die Zukunft zu verschieben.
Dieses Thema habe ich in dem Beitrag “Die Zombifizierung der Wirtschaft” bereits genauer beleuchtet.
Steigende Staatsverschuldung
Natürlich können auch Staaten vom Nullzins partizipieren. Es ist ihnen möglich, sich so billig wie noch nie mit Geld einzudecken, und zwar in Form von neuen Schuldverschreibungen. Als problematisch anzusehen ist hierbei, dass durch das billige Geld die Hemmschwelle sinkt, Investitionen nach ihrer Sinnhaftigkeit zu hinterfragen und stattdessen wild mit Geld umhergeschmissen wird. Denn läge der Zins für einen Kredit bei beispielsweise drei Prozent, wäre eine Überprüfung der Investition notwendiger, da man sich hier durch laufende Zinsrückzahlungen einem finanziellen Druck aussetzt.
Was wir bei dieser Thematik nicht aus den Augen lassen dürfen, ist die Tatsache, dass wir uns in einer ungedeckten Papiergeldwährung befinden und mit jeder Kreditaufnahme Geld aus dem Nichts erschaffen wird.
Dieses Phänomen läuft dabei wie folgt ab:
Der Staat wirft Staatsanleihen auf den Markt, um so von den Käufern dieser Anleihe mit finanziellen Mitteln ausgestattet zu werden. Leider will diese Anleihen niemand mehr kaufen, da diese Papiere aufgrund der niedrigen Verzinsung längst nicht mehr die nötige Attraktivität bieten. Somit tritt die EZB auf den Plan und muss den Großteil dieser Papiere selbst aufkaufen. Es ist der EZB dadurch möglich, direkte Staatsfinanzierung zu betreiben. Bei dieser Aktion stellt sich dann folgende Frage: Womit kauft die EZB diese Anleihen auf?
Dazu gibt es eine einfache Antwort. Die EZB drückt auf den Knopf und schafft einfach neues Geld aus dem Nichts, was bedeutet, dass bei jeder Schuldenaufnahme unserer Regierung die Geldmenge im Euro-Raum anwächst. Eine steigende Geldmenge und ein gleich bleibendes Angebot wirken wiederum inflationär.
Symbolisch für die steigende Staatsverschuldung steht der Anstieg des US-Schuldenbergs über die letzten Jahrzehnte:

Anlagenotstand führt zur Blasenbildung im Aktien- und Immobilienmarkt
Investoren und ein Jedem stellt sich die Frage, in welchen Vehikeln sich ihre Werte zukünftig gewinnbringend speichern lassen. Es findet dann ein Wechsel in andere Anlageklassen statt. So ist zu beobachten, dass sich Anleger, aufgrund des Anlagenotstandes häufig in Aktien und in der bei den Deutschen sehr beliebten Immobilien wiederfinden.
Es ist besonders in diesen zwei Sektoren zu sehen, dass hier in den letzten Jahren sehr viel Geld zugeflossen ist. Hierdurch steigt allerdings wieder die Gefahr anschwellender Blasen, die über die Jahre gebildet werden. Solange das Spiel weitergeht und sich durch Aktien und Immobilien gute Renditen erwirtschaften lassen, ist alles in Ordnung. Doch darf man nicht vernachlässigen, dass immer die Gefahr besteht, dass Blasen durch gewisse Umstände platzen können und eben dadurch schwerwiegende Problematiken entstehen.
Steigt der Zins in absehbarer Zeit wieder?
Geht man alle Gegebenheiten und die aktuelle Verfassung unseres Geldsystems durch, ist es nur sehr schwer vorstellbar, dass wir in naher Zukunft wieder steigende Zinsen auf Sparbücher, Konten, Lebensversicherungen, usw. sehen werden. Die amerikanische Notenbank hat zwar kürzlich in Aussicht gestellt, dass es im Jahr 2022 wieder steigende Leitzinsen geben könnte, doch wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns die Frage stellen, ob es im aktuellen Geldsystem überhaupt möglich ist, den Leitzins wieder anzuheben.
Durch eine Anhebung des Zinses laufen die Notenbanken die Gefahr, sämtliche Zombieunternehmen zu liquidieren, da sich diese nicht mehr refinanzieren könnten und nach absehbarer Zeit umstürzen. In dieser Hinsicht ist nicht außer Acht zu lassen, dass Zombieunternehmen auch gesunde Unternehmen mit in den Abgrund ziehen, da diese innerhalb des Wirtschaftskreises miteinander verknüpft sind. Fällt ein Zombieunternehmen und dadurch für ein gesundes Unternehmen z.B. ein wichtiger Zulieferer weg, gleicht das einer Katastrophe. Durch diesen Auslöser würde es natürlich auch nach sich ziehen, dass die Arbeitslosigkeit sehr rasch ansteigen würde.
Auch für Staaten wird es bei einer Anhebung des Zinses schwierig, ihre Stabilität zu wahren. Wir alle wissen, wie stark vor allem die südlichen Länder Europas verschuldet sind. Als bestes Beispiel sei hier natürlich Griechenland erwähnt. Aber auch Italien, Spanien und viele weitere sehen sich einer massiven Staatsverschuldung ausgesetzt. Die Verwerfungen würden gigantisches Ausmaß annehmen, sollte eines dieser Länder aufgrund steigender Zinsen in den Staatsbankrott schlittern und dadurch ganz Europa und die Welt vor schier unlösbare Aufgaben stellen würde.
Als Fazit lässt sich also aus all diesen Gesichtspunkten ableiten, dass eine Zinserhöhung in unserem jetzigen, maroden Geldsystem mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ding der Unmöglichkeit darstellt! Vor allem im Euro-Raum.
NachDenken
Ist die Nullzinspolitik der Zentralbanken zielführend?