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Interview mit Rainer, deutscher Auswanderer in Bolivien

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  • Beitrag zuletzt geändert am:16. Dezember 2022
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Guckloch im Gespräch

Interview mit Rainer, Deutscher Auswanderer in Bolivien.

Ich traf Rainer während meiner Reise durch Bolivien im Frühsommer 2022.

Guckloch:

Hallo Rainer, ich habe 6 Fragen an Dich:

1. Warum hast Du Dich entschlossen, aus Deutschland auszuwandern und warum war Dein Ziel Bolivien?

Rainer: Wenn man einmal hinter das System Deutschlands geschaut und begriffen hat, was das für ein System ist und dann auch noch feststellen muss, dass der größte Teil der Bevölkerung so engstirnig ist, nur das zu glauben, was ihnen die Mainstreammedien erzählen, dann werden die Gründe klar.

Die meisten Menschen in diesem Land sind ja nicht in der Lage, die einfachsten Dinge nachzulesen, geschweige denn zu verstehen.
Wenn Du die Menschen darauf aufmerksam machst und diskutieren möchtest, wirst dann noch mit Worten beschimpft, die früher nie in dieser Form benutzt wurden! Es gibt dann nur zwei Möglichkeiten. Entweder Du fügst Dich dem und gehst mit denen irgendwann unter, was ja jetzt immer deutlicher wird, oder man wandert aus. Ich habe mich daher für die zweite Möglichkeit entschieden.

Bolivien wurde deshalb von mir gewählt, weil es kein typisches Auswanderer-Land ist. Auch in der Hoffnung, dass es dort mehr aufgeklärte Menschen gibt. Was sich leider nicht ganz so bewahrheitet hat.

Guckloch:
2. Du hattest mir erzählt, dass Du seit Ende 2021 in Bolivien in Santa Cruz bist. Fühlst Du Dich als Ausländer, als Deutscher von den Bolivianern angenommen? Bist Du integriert in die Gesellschaft? Kannst Du Dich mit der südamerikanischen Mentalität identifizieren?

Rainer: Integriert in die bolivianische Gesellschaft bin ich noch nicht, das geht auch nicht so schnell. Dazu bedarf es noch weiterer Schritte. Man muss erst einmal verstehen, wie die Bolivianer „ticken“, wie ist es wirtschaftlich und politisch. Dazu benötigt man schon etwas mehr Zeit. Ja, ich bin noch Ausländer. Um sich mehr als Einheimischer zu fühlen, bedarf es noch viel mehr Zeit. Meiner Meinung nach sollte man weitestgehend seine teilweise sturen deutschen Einstellungen ablegen. Wer auf seine deutschen Einstellungen beharrt, wird in keinem Land ankommen. Was nicht heißen soll, dass man alle ablegen soll. Besserwisser sind in keinem Land wirklich willkommen. Eine offene Einstellung gehört auch dazu, um sich mehr und mehr in Bolivien heimisch zu fühlen.

Ob ich angenommen werde, kann ich nicht beantworten. Ich formuliere es mal so:  Die Bolivianer, die ich kenne oder wo ich einkaufen gehe, sind mir gegenüber freundlich und lächeln, möchten auch etwas über meine Herkunft wissen und manchmal sogar ein deutsches Wort lernen. Es kam auch schon zu dem einen oder anderen Treffen. Wenn sie mich nicht zumindest etwas mögen würden, würden sie mich auch nicht gelegentlich mal einladen.

Guckloch: Das denke ich doch auch!

Rainer: Also, wenn man die deutsche und südamerikanische Mentalität mal gegenüberstellt, bevorzuge ich die Zweite. Ist das damit beantwortet?

Guckloch: Ein ganzes Stück weit, ja. Ich denke, ich weiß, welchen Punkt du speziell ansprichst.

3. Wie sind die Lebenshaltungskosten im Vergleich zu Deutschland? Hauskauf, Miete, Nebenkosten, Lebensmittel, Auto etc.

Rainer: Sehr unterschiedlich.

Hauskauf: Hier kommt auf entscheidend auf die Qualität an, aber es ist schon günstiger als in Deutschland, würde ich sagen.

Miete: Auch hier ist der Standard sehr unterschiedlich, man kann günstig wohnen. Möchte man mehr westlichen Standard haben, kann die Miete schon an den deutschen Standard heranreichen. Die berühmten Worte … Lage … Lage … Lage. Wohnt man weiter vom Zentrum entfernt, wird es natürlich auch günstiger.

Nebenkosten Haus/Wohnung: Entschieden preiswerter. Gas kostet fast nichts. Strom ca. 1/5 jetzt vielleicht schon 1/8 von dem, was es in Deutschland kostet. Bei den Heizkosten kommt es darauf an, wo man in Bolivien wohnt. In wärmeren Gegenden fällt da gar nichts an.

Lebensmittel: Im Supermarkt etwa wie in Deutschland. Nach den gestiegenen Preisen in Deutschland sicherlich günstiger. Auf den Märkten sind die Lebensmittel preiswerter, z. B. 1 kg Kartoffeln 80 Cent, Tomaten 40 Cent, Zwiebeln 20 Cent.

Auto: Neukauf wie in Deutschland. Der Wertverlust ist jedoch nicht so hoch.

Guckloch:
4. Hast du eine Arbeit vor Ort gefunden oder arbeitest du remote über das Internet? Bist du Selbstständiger/Angestellter? Lebst du vom Erspartem?

Rainer: Da ich mich schon länger drauf vorbereitet habe, lebe ich von dem Erwirtschafteten.

Guckloch:
Ok, ich habe eine, zumindest für Interessierte aus Deutschland, spannende Frage:

5. Für viele Menschen sind die harten Corona-Maßnahmen in Deutschland ein Grund für die Überlegung, auszuwandern. Wie hast du die Maßnahmen erlebt, bzw. erlebst du die Corona-Maßnahmen in Bolivien? (Bei meiner 3-wöchigen Reise durch Bolivien musste ich erleben, dass fast 90 % aller Bolivier auch im Freien Masken tragen mussten)

Rainer: Du kannst hier herumlaufen wie du möchtest, auch wenn du Bus fährst. Keiner spricht dich an, du mögest die Maske aufsetzen. Wenn ich da an Deutschland denke, kommt mir das reinste Grauen. Diese „Hilfssheriffs“ und das Denunziantentum dort, sind, vorsichtig ausgedrückt fürchterlich. Wer nur einen Funken Verstand hat, haut dort so schnell wie möglich ab. Das kann ein selbst denkender Mensch nicht lange aushalten. Es muss ja nicht gleich Südamerika sein, aber raus aus den EU-Ländern.

In manchen Gebäuden ist man schon verpflichtet eine Maske locker aufzusetzen, z. B. Banken, Supermarkt, Behörden.
In der Zwischenzeit ist die Anzahl der Maskenträger/innen in der Öffentlichkeit wieder zurückgegangen. Es gibt immer so Wellen, wo mal mehr oder mal weniger Masken zu sehen sind. Kommt vermutlich auf die Propaganda an, die in den Medien gezeigt wird.

Guckloch:
Nun meine letzte Frage an dich:

6. Würdest du Bolivien als potenzielles Auswanderungsland empfehlen?

Rainer: Schwierig. Es hängt davon ab, was man möchte. Das Land ist groß und bietet viele Möglichkeiten. Liebst du größtenteils friedliche und freundliche Menschen … ja. Magst du kein Denunziantentum … ja.

Außerhalb von Santa Cruz ist es sehr dörflich. Die Fahrtstrecken sind langwierig und nehmen schon viel Zeit in Anspruch. Das ist auch dem Zustand der Straßen geschuldet. Wohnt man z. B. nur 200 km von SC entfernt, kann die Fahrt schon mal 5 – 6 Stunden dauern.
Positiv ist in Bolivien, dass es nicht so viele Auswanderer wie in anderen Ländern gibt. Ich hoffe, es bleibt so. Schau dir Paraguay an, dort hat es viele deutsche Auswanderer in den letzten Jahren hingezogen und was passiert jetzt? Die deutschen Medien und Politiker stürzen sich auf das Land und die Auswanderer und die Preise steigen, worüber die einheimische Bevölkerung nicht sehr glücklich ist.

Das Klima in Bolivien ist sehr verschieden, also auch von daher findet bestimmt jeder das, was er möchte.

Schwierig ist es hier oft mit Kauf von Grundstücken. Man kann nicht so leicht Eigentümer werden und kleine Grundstücke gibt es, aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen, nicht so viele.
Mich wundert es sehr, dass viele Leute eingewandert sind und sich gleich ein Grundstück gekauft haben, ohne dies sich vorher angeschaut zu haben. Zum Teil wundern sich diese Leute jetzt, dass es nicht so ist, wie man es ihnen erzählt hat.
Als ich noch in D. war, kannte ich keinen, der in ein anderes Bundesland gezogen ist und sich nicht die Wunschimmobilie vorher angeschaut hat. Andere wiederum möchten Häuser bauen, obwohl sie vorher gar nicht in dieser Branche tätig waren. Das ist schon etwas merkwürdig.

Wer hier zur Miete leben möchte, in der Großstadt, auf dem Land oder sich ein Haus kauft mit einem Grundstück, kann hier wunderbar friedlich und in Harmonie leben. Du kannst hier fast alles machen. Hier wird nicht groß gefragt, man macht einfach und man lässt einen in Ruhe leben. Vorausgesetzt, man tritt anderen nicht auf die „Füße“.

Man muss auch damit leben können, dass die Pünktlichkeit und die Qualität nicht der in Deutschland entspricht.

Guckloch:
Lieber Rainer, vielen herzlichen Dank für das offene und ehrliche Interview. Ich muss ja leider demnächst wieder die Heimreise nach Deutschland antreten. Ich wünsche dir für deine Zukunft in Bolivien alles Gute und dass du hier weiterhin als „Mensch“ wahrgenommen wirst.

Rainer: Ich danke auch.

Dirty Harry

Redakteur Guckloch

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