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Zu Tode amüsiert

Seit eh und je hat sich Roger Waters mit seiner Musik die Mächtigen dieser Welt zur Brust genommen — entsprechend wird er heute vom Establishment bekämpft.

von

Thomas Trares

Roger Waters darf nun doch in der Frankfurter Festhalle auftreten. Das hat das Verwaltungsgericht Frankfurt Ende April entschieden und sich dabei auf die Kunstfreiheit berufen. Zuvor hatten die Stadt Frankfurt am Main und das Land Hessen das Konzert untersagt. Waters wird Antisemitismus vorgeworfen. Zudem hatte er den US-Präsidenten Joe Biden wegen seiner Ukraine-Politik kritisiert. Dabei hat Waters noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Als Mastermind von Pink Floyd war er sowohl für das 1977 erschienene Album „Animals“ verantwortlich, das von George Orwells Buch „Animal Farm“ inspiriert war, wie auch für das 1983er-Album „The Final Cut“, in dem Waters eine Brücke vom Tod seines Vaters im Zweiten Weltkrieg bis hin zum Falklandkrieg der Briten im Jahr 1982 schlägt.

 

Zum großen gesellschaftskritischen Rundumschlag hat Waters

jedoch auf seinem 1992 erschienenen Solowerk „Amused to Death“ ausgeholt. Dort finden sich Medienkritik, Religionskritik, Kapitalismuskritik und natürlich Antikriegsrhetorik — und all dies über die volle Album-Länge von rund 70 Minuten. „Amused to death“ ist so gesehen kein Antikriegs-Song, sondern gleich ein ganzes Antikriegs-Album.

Wir amüsieren uns zu Tode

Inspiriert wurde Waters damals von dem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ des US-Medienwissenschaftlers Neil Postman, das 1985 erschienen ist. Postman vertritt darin die These, dass der öffentliche Diskurs im Fernsehzeitalter zusehends verflacht. Jedes Thema, sei es Religion, Bildung, Politik oder eben Krieg, verkommt zum Entertainment. Postman prägte unter anderem den Begriff „Infotainment“ und beklagte die daraus resultierende „Infantilisierung“ der Gesellschaft. Waters hat die Thesen Postmans auch auf dem Album-Cover von „Amused to Death“ visualisiert. Dort ist ein Affe zu sehen, der vor einem Fernsehgerät sitzt und aus dem Bildschirm heraus von einem Riesenauge angeglotzt wird.

Das Album selbst beginnt mit „The Ballad of Bill Hubbard“, das mehr ein Instrumental-Intro ist als ein vollwertiger Song. In das Stück ist ein Beitrag des britischen Radiosenders BBC aus dem Jahr 1991 eingearbeitet. Darin beschreibt Alf Razzell, ein Veteran aus dem Ersten Weltkrieg, wie er den schwer verwundeten Kameraden Bill Hubbard im „Niemandsland“ zwischen den Schützengräben auffindet und ihn sterbend zurücklassen muss. Eben jenem sterbenden Soldaten hat Waters das Album gewidmet. „Dedicated to Private William Hubbard (1888 bis 1917), Eighth Battalion of the Royal Fusiliers, City of London Regiment“ ist auf der Plattenhülle zu lesen.

Mediale Inszenierung und Bagatellisierung

Der inhaltliche Schwerpunkt von „Amused to Death“ liegt jedoch auf der medialen Inszenierung und Bagatellisierung von Kriegen, die mit dem zweiten Golfkrieg 1991 eine neue Qualität erreichten. Damals hatten sich mehrere Staaten unter Führung der USA gegen den Irak und dessen Diktator Saddam Hussein verbündet, der zuvor den Nachbarstaat Kuwait überfallen hatte.

Das Besondere damals war, dass Krieg erstmals als eine Art Fernseh-Spektakel inszeniert wurde. Fast täglich war US-General Norman Schwarzkopf im Tarnanzug auf den Bildschirmen zu sehen, wie er den Fortgang der Kampfhandlungen erklärte. Dem Zuschauer wurde dabei die Illusion einer chirurgisch präzisen Kriegführung übermittelt, bei der mittels ferngesteuerter Lenkwaffen ausschließlich militärische Ziele getroffen und „Kollateralschäden“ tunlichst vermieden wurden. Krieg bekam so den Charakter eines Videospiels.

Waters greift eben jene Live-Inszenierung von Krieg in den Stücken „Perfect Sense“, das aus zwei Teilen besteht, und „The Bravery of Being Out of Range“ auf. In „Perfect Sense“ etwa ist der damals in den USA populäre Sportreporter Marv Albert — „The Voice of Basketball“ — zu hören, wie er über Kriegshandlungen spricht, als seien sie ein Basketballspiel. Die Stücke „Late Home Tonight“ Teil 1 und Teil 2 handeln dagegen von der Bombardierung der libyschen Städte Tripolis und Bengasi durch die USA im Jahre 1986. Waters beschreibt darin unter anderem den Alltag eines amerikanischen Bomberpiloten: „The beauty of military life. No questions, only orders and flight, only flight.“

Fokus auf Gesellschaftskritik

Auf dem Album finden sich ferner noch einige Stücke, bei denen der Fokus stärker auf der Gesellschaftskritik liegt. In „What God Wants“ etwa nimmt Waters die in den USA seinerzeit populären Fernsehprediger ins Visier. Und in „The Miracle“ wirft er dem britischen Komponisten Andrew Lloyd Webber, unter anderem bekannt für „The Phantom of the Opera“, vor, dass dessen Musicals die Menschen nur einlullen und nicht zum Nachdenken anregen. „You´re Watching TV“ wiederum handelt von der Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung 1989 auf dem Tian’anmen-Platz in Peking.

Rund um die Veröffentlichung von „Amused to Death“ soll der damals 49-jährige Waters die Sorge geäußert haben, dass die „Verbindung von Krieg und Big Business“ mit den Jahren wohl eher noch zunehmen wird.

„Ich habe dabei mit 49 genauso eine düstere Weltsicht, wie ich sie mit 17 hatte“, sagte er damals. Wie wir heute wissen, hat sich Waters´ Weltsicht auch rund 30 Jahre später mit 79 Jahren nicht geändert. Was sich jedoch geändert hat, ist das gesellschaftliche Klima in Deutschland. Hier sorgt inzwischen ein immer enger werdender Meinungskorridor dafür, dass sich Roger Waters das Recht, seine Sicht auf die Welt öffentlich zu äußern, mittlerweile vor Gericht erstreiten muss.

Roger Waters: Amused to Death

Hinweis zum Beitrag: Der zugehörige Originalbeitrag erschien am 13. Mai 2023 zuerst im „Manova, das Magazin für neue Perspektiven und lebendige Debatten“. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt Guckloch diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch Manova auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

Bildquelle: Manova.news

Originalbeitrag: https://www.manova.news/artikel/zu-tode-amusiert

NachDenken…

Roger Waters war mit der Band Pink Floyd einer der größten Einflüsse für mich als Musiker. Insbesondere das Doppelalbum „The Wall“ hatte ich unzählige Male angehört.

In jungen Jahren hatte ich den Fokus mehr auf die Musik und weniger auf die Texte. Das änderte sich erst später. Die Liedtexte von manchen deutschen Bands ließen einen kritischen Geist vermuten. Doch ab 2020 wurde ich von vielen deutschen Musikern eines Besseren belehrt. Was ich und wohl viele damals als rebellisch und als Widerstand gegen das herrschende System verstanden hatte(n), entpuppten sich als leere Worthülsen und Sprechblasen ohne wirkliche Substanz. Ich möchte an dieser Stelle keine Namen nennen.

Auch aus diesem Grunde liebe ich umso mehr diejenigen Musiker, die es damit ehrlich mein(t)en und die auch bei Ihrer Meinung und Einstellung geblieben sind. Wie zum Beispiel Eric Clapton und eben Roger Waters.

PS: Ich werde wohl nachher „Amused to Death“ und „The Wall“ anhören. So viel Zeit muss sein. 😉

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Dirty Harry

Redakteur Guckloch

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